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Parallel zum jährlichen Kunstfest fand dieses Jahr in Weimar „Das Festival – Musik & Wort Weimar“ statt und hat sich damit als Gegenveranstaltung begreifen lassen. Künstlerischer Leiter des Zusammentreffens war Uli Masuth, prominentes Mitglied der Querdenker Partei Die Basis und deren Kandidat bei der letzten Bundestagswahl. Über drei Tage hinweg stand Interessierten ein Programm unterschiedlicher Musik- und Redebeiträge zur Auswahl.
Die wortreichen Höhepunkte bildeten am dritten Veranstaltungstag die Reden Martin Michaelis und Hans Joachim Maaz, die tiefe Einblicke in den verwirrten demokratie- und aufklärungsfeindlichen Geist des Festivals boten.
Martin Michaelis war bis Anfang 2022 Vorsitzender der Pfarrergesamtvertretung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Nachdem er für die Sündhaftigkeit des Impfens argumentierte und alle Christen zur bewussten Missachtung der Corona-Maßnahmen aufforderte, wurde er aus diesem Amt abgewählt, wie das Portal insuedthüringen.de am 12.04.2022 berichtete.
Anderthalb Jahre später in Weimar wiederholt er seine Ansichten und veranschaulicht anhand einer persönlichen Interpretation von Luthers Katechismus über die zehn Gebote, warum die Kirche nicht an die staatliche Autorität gebunden wäre.
Wie er dazu kommt, den Staat und seine Gesetze als Gegenspieler der kirchlichen Gemeinschaft zu begreifen, klingt bereits im Titel seiner Rede Hirte oder Mietling an. Hiermit stellt er die Frage, ob die heutigen Politiker im christlichen Sinne Hirten seien oder doch für Geld gekaufte „Mietlinge“. Dem kritischen Zuhörer stellt sich an dieser Stelle die Frage, welche dunklen, der Regierung übergeordneten Mächte die Rolle des Mieters spielen sollen. In diesem Fahrwasser entspinnt sich ein roter Faden durch Michaelis gesamte Rede, welcher immer wieder an die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte und der christlichen Religion erinnern.
So spricht er unter anderem von Gangstern, die die Staatskasse plündern, lässt verschwörungsmythische Witze über die Hochzüchtung eines Virus in Wuhan im Beisein Angela Merkels fallen und präsentiert die öffentlich-rechtlichen Medien als Antagonisten Gottes. Ferner stellt er die rhetorische Frage, ob in der Pandemiesituation gerade etwas an die Oberfläche komme, was schon immer da gewesen sei.
Eine Antwort deutet er im Zuge einer weiteren rhetorischen Frage, warum und seit wann man denn Menschen verkehrte und falsche Verbrechen anhafte, an und erzählt die neutestamentarische Geschichte vom Gottesmord der durch die jüdischen Priester, die Pharisäer und den oberen Priester Kaiphas initiiert worden wäre. Das Ganze ist eingebettet in einen Schwall von Wortwitzen über das potentiell tödliche Coronavirus und die Bevölkerungsschutzmaßnahem des Staates.
Diese und gehässige Witze über LGBTQ-Menschen, sowie die Solidarisierung mit dem Weimarer Richter Christian Dettmar, welcher Schlagzeilen machte, als er zur Hochzeit der Pandemie die Schutzmaßnahmen an Schulen kippte, haben das Publikum von knapp 300 Gästen in höhnischem Gelächter geeint.
Den zweiten reinen Redebeitrag des Vormittags lieferte Hans Joachim Maaz, Psychoanalytiker und Autor, unter der Überschrift Friedensfähigkeit und Kriegslust. Jene wie diese seien dabei als Resultat einer geglückten respektive missglückten Kindheit und Entwicklung ins Erwachsenenalter zu verstehen. Seine Argumentation orientiert sich an gängigen psychologischen und psychoanalytischen Theorien und Beobachtungen der letzten Jahrzehnte.
Ausgehend vom frühen Kindesalter konstatiert er in westlichen Ländern einen vorherrschenden manipulativen Erziehungstypus, der bei den Heranwachsenden zu einer Entfremdung vom selbst führe, da es weniger um die Entwicklung des eigenen Wesens, als um die Erfüllung von Wünschen und Phantasien der Eltern bezüglich ihres Kindes gehe.
Dies äußere sich beim Kind durch mangelnde Erfahrung von elterlicher Liebe und führe zu einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die durch Unfähigkeit gekennzeichnet sei, die eigenen Gefühle zu beherrschen oder abzuarbeiten. Dies wiederum münde in einen Gefühlsstau. Es fehle also an Anerkennung und an Möglichkeiten gesunder Bedürfnisbefriedigung. Ein solcher Mensch sei nun dazu verdammt zu versuchen sich durch nie genügendes Erbringen von Leistung, gesellschaftliche Anerkennung als Liebesersatz zu verdienen. Diese Kompensationsarbeit erzwinge weitere Anpassung an die jeweiligen gesellschaftlichen Normen.
Die theoretischen Schwächen von Maaz´ Ansatz offenbaren sich, sobald er den Boden rein psychoanalytischer Theoriearbeit verlässt und den Versuch unternimmt, gesellschaftliche Phänomene in den Blick zu nehmen – eben, weil er neben der psychoanalytischen Theorie keinen Begriff von Gesellschaft und ihren dynamischen Zusammenhängen hat.
Die Sachzwänge einer auf Konkurrenz basierenden Gesellschaft erklärt er sich rein psychologisch aus seiner Charaktertheorie dahingehend, dass Machtstreben und Bereicherungssucht der Einzelnen Kompensationsversuche der Entfremdung vom Selbst seien. Innerhalb seiner Logik folgert er dann, in einer Welt ohne von sich entfremdeten Menschen gäbe es gar keine Konkurrenten und kein Konkurrenzverhältnis.
Dementsprechend behauptet er, wir würden höchstens in einer „äußerlichen Demokratie“ leben, in einem „Demokratiespiel“. Komme dieses Spiel in die Krise, in der die bisherigen Anpassungsmechanismen zur Bearbeitung des Gefühlsstaus wirkungslos werden, würden sich dem Individuum zwei Wege darbieten: der in die Krankheit oder der in die „Bosheit“. Letztere sei gekennzeichnet durch das notwendige Bedürfnis eines Feindbilds zum Ausagieren des Gefühlsstaus.
An diesem Punkt gibt Maaz den Versuch einer Argumentation auf und benennt schlicht die Feindbilder der angeblich böse gewordenen Gesellschaft: die AfD, Putin, das Klima und das Coronavirus.
Die höchste Stufe der Konstruktion eines Feindes zur Stabilisierung der krisenhaften Gesellschaft ist nach Maaz die Kriegslust und der Krieg.
In der Unterstützung der Ukraine sieht er die Kriegslust des Westens bestätigt. Wie in antiwestlich gestimmten Kreisen üblich taucht auch bei ihm dieser Westen als der unbewegte Beweger internationaler Politik auf. Die Frage nach der Verantwortung Putins und seiner Verbündeten am Krieg stellt sich für ihn gar nicht. Es schien offensichtlich zu sein, dass der Krieg notwendig aus dem narzisstischen Wesen des Westens entspringe. Als Kriegskind wisse er, dass es keine gerechten Kriege gäbe und jede Solidaritätsbekundung mit der Ukraine nur ein Aufruf zum Töten sei. Seine Anschauung bringt er mit einem Erasmus von Rotterdam zugeschriebenen Zitat auf dem Punkt: „Jeder noch so ungerechte Frieden ist dem scheinbar gerechtesten Kriege vorzuziehen“ – eine angenehme Position, wenn man gerade nicht selber vom Angriffskrieg betroffen ist.
Ein ironischer Nebenaspekt zu diesen Auslassungen besteht darin, dass Narzissmustheorien eigentlich gerade eine hohe Erklärungsleistung bezüglich antisemitischen und verschwörungsmythischen Denkens bieten und in der entsprechenden Forschung regelmäßig zur Erklärung der Querdenkerbewegung herangezogen werden.
Dass die Freiheit der Rede, welche im Ankündigungstext des Festivals hochgehalten wurde, letztlich nur ein „Wir gegen die da Oben und die unwissende Bevölkerung“ meinte, zeigte sich nicht zuletzt in der vollkommenen Abwesenheit jeder Möglichkeit, den Referenten Fragen zu stellen oder vorgetragene Inhalte zu diskutieren. Vom artikulierten Anspruch ein „dialogbereites“ Festival zu realisieren hat sich demnach nichts gefunden.
Guido Schröpfer und Jakob Reinke